Freitag, 22. März 2013

Ein Hocker, ein Schlumpf und auch Götter sind nur Menschen


Vor dem Umzug waren wir ja ganz fleissig und haben alles (okay, fast alles) entsorgt, was uns überflüssig schien. Unter anderem auch mehrere alte Hocker. Nur einen nahm ich mit, an dem hängt mein Herz zu sehr. Vor über zwanzig Jahren auf dem Sperrmüll gefunden, von Hand abgeschliffen, blau lackiert und mit ungelenken (= potthässlichen) Blümchen verziert. Handlich, praktisch, gut. Und seit kurzem kaputt. Die Sitzfläche ist komplett gesprungen. Keine Ahnung, ob es vor oder nach dem Umzug passiert ist. Als Blumentopfständer ist er immer noch zu gebrauchen, aber nicht mehr im Alltag als Trittleiterersatz. Wenn ich mit Karacho raufhüpfe um Vorhänge aufzuhängen, beherrscht nur eine Frage mein Denken: Was wäre schlimmer? Wenn ich vorwärts aus dem Fenster fliege oder rückwärts den Hund platt mache?

Kurzum, ein neuer Hocker muss her. Herr C. hat zwar für eine Trittleiter plädiert, aber die Dinger kann ich auf den Tod nicht ausstehen. Ein altmodischer Holzhocker soll es wieder sein. Recht hoch, viereckig, stabil und unbehandelt, damit ich ihn nach Gusto selbst lackieren kann. Noch vor ein paar Jahren fand man solche Sitzgelegenheiten neu oder gebraucht quasi an jeder Ecke. Heute nicht mehr. Erfolglos Laden um Laden abgeklappert und am Schluss nebst hunderten von Designerhockern nur ein Modell gefunden, welches meinen Kriterien zumindest halbwegs entsprach. Über die farblose Lackierung hätte ich ja noch hinwegsehen können, aber nicht über den Preis. Den Gegenwert von einem schicken Abendessen mit anschliessendem Kinobesuch für einen Holzhocker auszugeben, fand ich dann doch ein wenig übertrieben.

Als nächstes die Brockenhäuser der Umgebung besucht. Erfolg gleich null. Zu Hause klemmte ich mich hinter den Telefonhörer, in der Hoffnung, mir erfolglose Überlandfahrten ersparen zu können. Die ersten Anfragen waren vergebens. In der Verzweiflung rief ich dann bei einer Brockenhauskette an, deren Auswahl zwar gross, aber die Preise ziemlich gesalzen sind.

Äh? (Firmenname, Name und eine nette Begrüssung scheinen aus der Mode zu kommen)

Guten Tag, mein Name ist Misses C. und ich bin auf der Suche nach einem stabilen Holzhocker. Mit rechteckiger Sitzfläche und möglichst hoch. Hätten sie zufälligerweise so etwas zu verkaufen?

Oh mamma mia, wie solle ich wissen, wasse für Möbel wir haben hier. Komme du nach Laden und schaue selber. Am besten du komme nach Ort bei Zürich, da viele Möbel. Öffnungszeiten sind...
(Mein Gesprächspartner hat eine nervig-piepsige Stimme mit starkem italienischen Akzent, in meiner Vorstellung spreche ich mit einer grottenhässlichen Kreuzung aus Eros Ramazotti und einem Schlumpf)

Äh, entschuldigung, dass ich sie unterbreche. Spreche ich mit der Filiale nahe Basel? Ich habe doch eine Nummer mit Vorwahl hier aus der Gegend gewählt. (Leicht verwirrt bin)

Nein, isse Nummer wo alles zusammenlaufe. Bin Zentrale. Also, Zürich du komme musst.

Aber ich spreche doch mit jemanden von der Firma XY, oder?

Ja. (Lautstarkes Rotz hochziehen)

Gut, dann verbinden sie mich bitte mit der Filiale hier in der Umgebung oder geben sie mir die Durchwahl, dann rufe ich selber an.

Wie schon sage, du komme nach Zürich. 

Entschuldigung, bitte geben sie mir die Nummer oder stellen sie mich durch.

Wieso? Die auch nicht wisse mehr. Du selber komme in Laden nach Zürich, selber schau.

Nein, ich komme nicht nach Zürich. Ich fahre keine hundert Kilometer, um mal kurz einen Blick in den Laden zu werfen. Ich möchte mit jemandem aus der Filiale hier sprechen.

Wieso? Kommschu vorbei.

Okay, nochmal zum Mitschreiben. Ich wohne in einer anderen Stadt und habe weder Zeit noch Lust, sinnlos durch die Gegend zu fahren. Deshalb wollte ich mich in der hiesigen Filiale erkundigen, ob sich ein Besuch lohnen könnte. 

Wie solle ich das wissen?

Das müssen sie auch nicht. Bitte geben sie mir die Durchwahl oder einen ihrer Kollegen.

Wieso? Was du wolle von Kollega?

(Kurz vorm Ausflippen) Vergessen sie es. Besten Dank und auf Nimmerwiederhören.

Hey, was soll das? Bischu unfreundliche Ku.....(abgewürgt)


Zwei Tage später bin ich zufällig in der Nähe dieser Brockenstube und hüpfe kurz vor Ladenschluss hinein. Nach ein paar Minuten kommt mir ein sexy Verkäufer entgegen, der mein Herz höher schlagen lässt. Knackiger Hintern, hübsche Figur und ein Gesicht wie eine Götterstatue (falsche Frisur, aber darüber sehe ich grosszügig hinweg). Natürlich bereue ich sofort meine langweilige Aufmachung, die Absenz jeglichen Make-Ups, die ausgelatschten Turnschuhe.... Ein Mehlwurm hätte neben mir richtig aufgerüscht gewirkt. Darum ein strahlendes, hoffentlich alles überdeckendes Lächeln aufgesetzt und mich mit rauchiger Marlene-Dietrich-Stimme und viel Wimpernklimpern erkundigt: Junger Mann, wo finde ich denn hier die Sitzgelegenheiten? 

Was du wolle? Sitze? Hier nix sitze, nur verkaufe. Gehschu zu Kollega nebendran in Bar, da kannschu sitze.

Was blieb mir anderes übrig, als einen Lachkrampf zu bekommen, mich an meinem eigenen Sabber zu verschlucken, auf dem Weg nach draussen einen Stapel Bücher umzufegen und die Einsicht, dass nicht alles Gold ist, was glänzt? 


4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

:-D Was um alles in der Welt sind "Brockenhäuser"? (Und vielleicht gäbe es so einen beim Blau-Gelben-Schweden?)

Cooketteria hat gesagt…

@ kochpoetin
"Brockenhaus" (auch Brockenstube oder kurz Brocki) ist die schweizerische Bezeichnung für Second-Hand-Shops/Sozialkaufhäuser. Beim Schweden gibt es leider auch nur Tritthocker. Zumindest laut Internet. Zum selber Nachgucken fehlt mir die Zeit (2 Stunden Fahrt mit den ÖV).

Anonym hat gesagt…

Ah ok, ihr habt manchmal wirklich "seltsame" Wörter (Säftplätzli habe ich gestern gelernt ;-)). Ja, das ist zu weit. Ich habe einen vom Schweden, den ich ganz schön finde (Bekväm). Aber der ist vielleicht anders, als du dir einen vorstellst. Wahrscheinlich findest du ihn beim nächsten Sperrmüll am Strassenrand... :-)

Sybille hat gesagt…

Das Leben schreibt die besten Geschichten :) :)