Momentan komme ich kaum zum Verschnaufen. Zuerst waren die Johannisbeeren reif, es folgten die Himbeeren, dann die Stachelbeeren. Der Lavendel beginnt gerade zu blühen, Steinklee, Kapuzinerkresse und Königskerze ebenso. Und die Gemeinsamkeit? Alles will haltbar gemacht werden. In Form von Saft, Konfitüre, Gelée, Sirup, Tee, Kräutersalz, Tinktur.... Darum stehe ich gerade jeden Abend ein wenig ratlos in der Küche und überlege mir, was ich am besten mit diesem oder jenem anfangen soll. Dörren oder einfrieren? Einwecken oder einlegen? Kompott oder Mus? Dampfentsaften oder in die Zentrifuge? Süss oder sauer? Mit oder ohne Zucker? Fragen über Fragen. In Michael Machatscheks und Elisabeth Mauthners
Speisekammer aus der Natur aus dem böhlau Verlag, werden einige davon beantwortet. Rezepte für kultivierte Obst- und Gemüsesorten sind darin zwar kaum vertreten, aber die Bevorratung und Haltbarmachung von Wildpflanzen wird ausführlichst vorgestellt.
Erster Eindruck:
Kompakt und trotzdem handlich, u.a. weil es aufgeschlagen liegen bleibt. Schon die ersten Fotos, auf der Innenseite des Hardcovereinbandes, bringen mich zum Staunen. Unzählige Einmachgefässe, deren Inhalt ich am liebsten jetzt, hier und sofort probieren möchte. Und zwar Glas für Glas, Flasche für Flasche. Wer über so eine Vorratskammer verfügt, der muss ein Spezialist auf dem Gebiet der essbaren Wildpflanzen sein. (Meine Vermutung trifft übrigens zu, siehe diverse andere Publikationen des Autors). Die unzähligen Fotos, laut Verlag über 500 an der Zahl, sind nicht hochprofessionell, aber authentisch.
Inhalt:
Ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Das Inhaltsverzeichnis überfordert mich schon fast, denn bisher hatte ich mein Wissen über die Haltbarmachung von Wildpflanzen als recht umfangreich eingeschätzt. Ha, komplette Selbstüberschätzung. Schon mal was von Waldgeissbart-Spargel gehört? Oder von eingelegten Schilfsprossen oder Schwarzwurzel-Blütenknospen? Knospenpulver als Würzmittel? Paste aus jungen Wacholdertrieben? Birken-Blättersirup? Kompott aus den Blattstielen des Alpenampfers? Und das sind nur einige wenige Rezepte, die mir sofort ins Auge sprangen. Unterteilt wird das Buch in vier jahreszeitliche Kapitel namens Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winternutzung. Die über 40 (!) Unterkapitel decken wirklich fast jede erdenkliche Möglichkeit der Konservierung ab. Damit die Liste nicht zu lang und unübersichtlich wird, habe ich nur ein paar Highlights herausgepickt:
- Mariniertes Spross- und Spargelgemüse (z.B. Margeritensprossen)
- Fermentierung von Blättern (z.B. Giersch)
- Marinierte Knospen (z.B. Ringelblumen, Spitzwegerich, Löwenzahn)
- Spezielle Gewürze aus Blüten, Blättern, Samen und Wurzeln
- Verschiedene Siruparten (z.B. aus Spitzwegerich, Wiesensalbei)
- Tinkturen und Hochprozentiges (z.B. aus Apfelkernen, Ebereschenknospen)
- Pilze (z.B. getrocknete Pilze in Honig eingelegt)
- Wildkräuter-Chutneys (z.B. pures Chutney aus Alpenampfer-Blattstielen)
- Kompott (z.B. Weissdorn in Rotwein)
- Marmeladen und Wildobstsaucen (z.B. Zieräpfel in süss-saurem Sirup)
- Kandierte Blattstiele und Früchte (z.B. kandierte Hagebutten)
- Fruchtkäse (z.B. aus Cassis, Mispeln, Berberitzen)
- Alternative Kaffee-Arten aus Labkräutern, Wurzeln, Dörrobst und Nussfrüchten
Mehr als 300 Seiten, vollgepackt mit Tipps, Tricks, Anleitungen, Rezepten und Abwandlungsmöglichkeiten. Dazwischen eingestreut sind Abschnitte zu den einzelnen Pflanzen und hilfreiches Grundwissen. Beispielsweise eine Auflistung von Teekräutern und ihren Anwendungsgebieten bei Erkrankungen, und eine Übersicht über diejenigen Pilze, die sich gut für Pilzpulver eignen. Fotos ergänzen die allermeisten Rezepte, oft finden sich auch noch Abbildungen der Pflanzen, Pflanzenteile und Früchte.
Was meint der Magen?
Ausprobiert wurden die eingelegten Bärlauchknospen, die mich allerdings ganz und gar nicht überzeugen konnten. Sie stanken extrem nach Knoblauch (acht Stunden später hatte ich den penetranten Geschmack immer noch im Mund) und waren von der Konsistenz her grauslich labbrig-lätsch. Werde das Experiment aber nächstes Jahr wiederholen, denn ich vermute, dass die Ursache des strengen Geschmacks und der unangenehmen Textur, zu weit ausgebildete Knospen waren. Mea culpa. Als nächstes landeten Zieräpfel aus dem Tiefkühler in süss-saurem Sirup, der sie in eine wahre Delikatesse verwandelte. Dank der minimalen Essigmenge passen sie nicht nur zu kaltem Braten oder einer Käseplatte, sondern auch gut zu Vanilleeis oder anderen Süssspeisen. Der getrocknete Gundermann hingegen wartet noch auf seinen Einsatz als Salat-/Küchengewürz, denn wie oben schon angetönt, bleibt momentan einiges auf der Strecke.
Fazit:
Zwiegespalten. Der praktische Teil des Buches ist rundum empfehlenswert und bietet eine unglaublich reiche Auswahl an allem, was sich der Wildpflanzen-Aficionado nur wünschen kann. Aber... Das grosse ABER... Einleitung, Schlussbetrachtung und einige Texte dazwischen enthalten Sätze/Abschnitte, die stark an das pseudowissenschaftliche Geschwurbel gewisser Selbstversorgerbücher aus den 80ern erinnern. Und solches geht mir, bei aller Sympathie für den hervorragenden Praxisteil, doch ziemlich gegen den Strich. Beispiele: ..."alle Mittel fürs Leben, welche man benötigt, wachsen unmittelbar vor der Haustüre...". Oder: "Doch die einfache Kost der strukturarmen Regionen als hinterwäldlerische Notnahrung abzutun, geht von einem Voyerismus und Unverständnis der Subsistenz und Dissidenz aus." Ein paar Seiten weiter: "Nur wahrlich gute Köche und Köchinnen vermögen sich über mehrere Jahre auch ohne Medienmarketing an einem Ort zu halten." Stimmt. Aber dann folgt dieses: "Doch auch jene Akteure der Haubenmeierei holen sich mittels wechselndem, jungem Personals den notwendigen zeittrendigen Input in die Speisen, um sich damit zu profilieren. Ständig wechselndes Personal ist wahrscheinlich die Ablenkung vom kulinarischen Abstieg." Ähem.... The best: "Bewusst mit einer natürlichen Neugier in der Natur spazieren gehen, können nur noch wenige Menschen. Der Grossteil benötigt dazu einen Hund, um von der eigenen inneren Leere abzulenken und um über das Tier Ansprache zu bekommen..".... Öhmmmm..... I'm not amused. Über den Wahrheitsgehalt der Aussagen kann man sich streiten. Besonders, da ich die Zitate aus dem Kontext gerissen habe. Aber über die schulmeisterliche Art und Weise müssen wir es nicht tun. Autoren, die so schreiben, als ob sie die Weisheit mit riesengrossen Löffeln gefressen hätten, können mir persönlich gestohlen bleiben. Aber... Das nächste ABER... Wer sich an solchen Aussagen nicht stört, oder sie grosszügig ignorieren kann, dem lege ich dieses Buch trotzdem wärmstens ans Herz. Wie schon erwähnt, der Rezeptteil ist grossartig und verdient es, gelesen und umgesetzt zu werden. Aber... (das letzte ABER, versprochen!)... wenn ich es in einer Buchhandlung in die Hand genommen und dort schon eines oder zwei der oben genannten Zitate gelesen hätte, wäre es nie bei mir im Regal gelandet. Deshalb: Zwiegespalten. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Zum Abschluss noch das Kleingedruckte: Die in dieser Rezension geäusserten Ansichten und Meinungen sind zu 100% die Meinigen und wurden von niemandem beeinflusst.
Einen ganz herzlichen Dank an den böhlau Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.