Wer hier schon ein wenig länger mitliest wird wissen, dass ich ein grosser Fan von alten, vergessenen und seltenen Gemüse-, Kräuter- und Fruchtsorten bin. Einige davon wachsen in unserem Garten, andere besorgen wir direkt ab Hof oder auf Wochenmärkten. Jetzt folgt natürlich die berechtigte Frage: Aber warum veröffentlichst du dann nur so selten Rezepte damit? Erstens bieten diese Sorten oft ein unvergleichliches Geschmackserlebnis, so dass wir sie am liebsten pur geniessen oder nur ganz einfach zubereiten. Zweitens stehen mir meistens auch nur Kleinstmengen zur Verfügung, mit denen ich nicht experimentieren kann oder will. Oder mir fehlen schlichtweg die Ideen. Allerdings ist das letzte Argument nach der Lektüre von Meret Bisseggers zweitem Buch "Meine Gemüseküche für Herbst und Winter" komplett hinfällig. Und genau aus diesem Grund möchte ich euch das Buch ans Herz legen.
Erster Eindruck:
Gross und schwer, aber nicht überdimensioniert. Es lässt sich problemlos aufgeklappt hinlegen, was bei seitenstarken Wälzern ein riesiger Pluspunkt ist. Ebenfalls wichtig: Da müffelt nix. Neue Bücher können nämlich manchmal ziemlich unappetitlich riechen. Alle, die je ein Exemplar von Marcella Hazans "Die klassische italienische Küche" in der Nähe ihrer Nase hatten, wissen was ich meine. Dank dem stabilen Einband ist ein Schutzumschlag überflüssig, was ich sehr sympathisch finde. Schutzumschläge sind Ressourcenverschwendung und landen bei mir sowieso meist als Staubfänger in einer Ecke.
Innenleben:
In der Einleitung erklärt die bekannte Autorin zuerst, warum sie beim Einkaufen sehr viel Wert auf ökologische, nachhaltig produzierte und fair gehandelte Produkte legt. Auf den nächsten Seiten werden ausgewählte Bio-Produzenten, ihre Erzeugnisse und Absatzwege (Hofladen, Märkte etc.) beschrieben, denn das besondere Augenmerk liegt in diesem Buch auf saisonalem Gemüse aus der Region. Darauf folgen einige Seiten mit kurzen Erklärungen zur biologischen und biologisch-dynamischen Landwirtschaft, ein Überblick über die verschiedenen Biolabels und eine kurze Einführung zum Thema Saatgut. Nach der Küchenpraxis beginnt der Hauptteil mit Pflanzenporträts und Rezepten. Zuerst wird eine der über 40 Gemüsesorten ausführlich vorgestellt, dann die Verwendung in der Küche beschrieben und danach folgt eine Aufzählung der passenden Zutaten. Hervorzuheben ist dabei das Kapitel über Kürbisgewächse, denen mehr als 50 Seiten gewidmet sind. Wer Kürbis bisher als reines Suppengemüse abgetan hat, kann sich auf eine Überraschung gefasst machen! Abgerundet wird die Theorie durch mehr als 150 grösstenteils vegetarische und vegane Rezepte, die vielfach den bekannten Verwendungsrahmen sprengen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer süssen Randen-Zitrus-Sauce zum Dessert? Oder honiggesüsstes Panna Cotta in gebackenen Kürbishälften? Rotkohl mit Quitten und Kürbiskernöl hört sich nach einer aufregenden Kombination an, genau so wie der Kastaniensalat mit Fenchel und Räucherforelle. Altbekanntes wird entstaubt und bekommt einen kleinen Schupf in eine neue Richtung. Beispiele gefällig? Der Randensalat profitiert nicht nur optisch von Orangen und Mandeln, die Kürbissuppe wird mit thailändischen Gewürzen abgerundet und das Sellerieschnitzel mit Sesam und Mohn in der Panade aufgepeppt. So werden sogar eingefleischte Gemüsemuffel bekehrt.
Einziger Minuspunkt: Ohne sehr gut sortierten Vorratsschrank ist man aufgeschmissen, denn Frau Bissegger verwendet für ihre Gerichte unglaublich viele Gewürze und teilweise auch recht ausgefallene Zutaten. Wer hat schon beispielsweise Amchur, Zigerklee, Ajowan, Zwetschgenessig, frische Yuzu oder Mugi-Miso auf Lager? Oder kann es gleich im Laden um die Ecke auftreiben? Es könnte sich daher lohnen, die wirklich hilfreichen Gewürzporträts (mit Fotos!) und das Glossar am Ende des Buches zu studieren und bei einem Ausflug zu spezialisierten Händlern/Asia-Shops gleich einen grösseren Einkauf zu tätigen. Die Autorin empfiehlt übrigens auch, sich nicht nur stur an die Zutatenlisten zu halten, sondern seiner Kreativität freien Lauf zu lassen und mit den Gerichten herumzuexperimentieren, wie sie es selbst auch gerne tut. Kein Problem für versierte Hobbyköche, aber blutige Anfänger wären mit der Beschaffung und/oder Ersatzfindung wahrscheinlich komplett überfordert.
Was meint der Magen?
Ich habe mich natürlich gleich ins Vergnügen gestürzt und folgende Gerichte ausprobiert:
Mein persönlicher Favorit unter den getesteten Rezepten. Allerdings werde ich nächstes Mal die Ingwer- und Pimentmenge halbieren, sonst erinnert der Salat schon arg an Spekulatiuskekse. Statt getrockneter Maulbeeren nahm ich säuerliche Berberitzen, die das ganze wunderbar ergänzten.
Gersten-Karotten-Suppe mit Safran
Suppe? Bei mir wurde es trotz erhöhter Wassermenge ein Eintopf. Aber egal, geschmeckt hat er auf alle Fälle sehr gut. Die lustige Farbe verdankt er übrigens einer Mischung aus orangen, violetten und weissen Karotten. Herr C. fand die Orangennote (Schalenabrieb) unpassend, ich hingegen bin davon total begeistert.
Süsses Kürbismousse
Marronikürbisse wie Kabocha Kuri sind perfekt für dieses einfache und doch spezielle Dessert. Die Bezeichnung "Mousse" ist hier irreführend, denn die Kürbismasse wird nicht mit Gelatine oder Agar-Agar angedickt, sondern nur mit geschlagener Sahne gelockert. Den Brandy habe ich durch Cognac ersetzt.
Einkorn mit Palmkohl
Einkorn wurde mangels Verfügbarkeit durch Dinkelreis ersetzen, dafür kam der Palmkohl frisch aus dem Garten. Ein ungewöhnliches, aber stimmiges Gericht. Die Dörrpflaumenstückchen könnte man weglassen, ich würde aber eher auf die Bohnen verzichten. Passt richtig gut zu Saucisson vaudois.
Chayote-Fächer mit Dörrtomaten
War wegen dem Tomaten-Einweichwasser schlichtweg zu salzig. Vorsichtshalber lieber nur die halbe Menge nehmen und evt. die Oliven entsalzen. Das einzige Gericht, das mir überhaupt nicht gefallen hat, weil der Eigengeschmack der Chayote neben den Dörrtomaten komplett unterging.
Fazit:
Ich bin mittlerweile schwer begeistert, obwohl ich am Anfang wegen der Zutatenbeschaffung ziemliche Bedenken hatte. Jeder, der gerne mit Herbst- und Wintergemüse kocht, sollte sich dieses aussergewöhnliche Kochbuch unbedingt gönnen. Oder zumindest zuoberst auf den Wunschzettel für Weihnachten setzen.
Als Abschluss noch das Kleingedruckte:
Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten und Meinungen sind zu 100% die Meinigen und wurden von niemandem beeinflusst. (Herr C. zählt ja nicht, oder?) Einen ganz herzlichen Dank an den AT-Verlag, der mir freundlicherweise völlig unkompliziert ein Rezensionsexemplar überlassen hat. Werde versuchen, bei der nächsten Buchbesprechung ein bisschen mehr den Marcel Reich-Ranicki raushängen zu lassen. ;-)