Frei nach Magnum: Ich weiss, was Sie jetzt denken, und Sie haben Recht. Buchbesprechungen, die durchgehend positiv sind, wirken verdächtig. Irgendetwas gibt es doch immer zu bemängeln, selbst wenn es nur die Farbe der Fussnoten ist. Zugegeben, das Kapitel über Pilze hätte ich persönlich nicht sonderlich vermisst. Aber auch nur, weil für die ungekrönte Königin der Orientierungslosigkeit ein Ausflug in die Tiefen des Waldes, jenseits von Wegen und Wegweisern, garantiert verhängnisvoll enden würde. Und das ist keine Übertreibung. Wer es schafft, sich im Stadtpark zu verirren, sollte sich definitiv ein anderes Hobby als Pilzsammeln zulegen. Zurück zum Thema. Viele Kochbücher über essbare Wildpflanzen sind leider unvollständig, weil zu wenig auf die Grundlagen (wie Verwechslungsgefahr, Verhalten beim Sammeln etc.) eingegangen wird. Oft wird vorausgesetzt, dass der Leser umfangreiches Wissen oder entsprechende Fachliteratur besitzt. Umgekehrt gibt es einige Bücher, in denen essbare Wildpflanzen zwar ausführlich vorgestellt werden, die Rezepte aber eher rudimentär sind.
Wilde Waldküche von Linda Louis hingegen bietet auf über 300 (!) Seiten eine vertiefte Einführung UND supertolle Rezepte.
Erster Eindruck:
Mir gefällt das schlicht gehaltene, appetitliche Cover und auch das Format finde ich ziemlich praktisch. Zwar ist es grösser und schwerer als ein kompaktes Bestimmungsbuch, aber es passt immer noch gut in einen Rucksack oder einen Korb, falls man es zum Sammeln mitnehmen möchte. Angenehm griffiges Papier, viele ansprechende Fotos, übersichtlich gegliedert und sympathisch geschrieben. Immer informativ, aber nie schulmeisterlich belehrend oder erschlagend. Mit anderen Worten: Es hagelt Pluspunkte! :-)
Inhalt:
Zuerst wird die Auswahl der 32 porträtierten Sorten erklärt, denn natürlich kann das Buch nur einen kleinen Einblick in die grosse Vielfalt der essbaren Wildpflanzen bieten. Wichtigste Kriterien waren, dass sie schmackhaft und leicht zu erkennen sind, damit die Verwechslungsgefahr minimiert wird. Auf der folgenden Doppelseite werden die Gesetze des Waldes bzw. die gesetzlichen Grundlagen erläutert. Zwar finden sich hier nur die Bestimmungen für Deutschland, aber Schweizer und Österreicher können sich entsprechend im Internet informieren. Als nächstes geht die Autorin auf die Risiken beim Sammeln und Verzehren ein. Damit soll dem Leser keine Angst eingejagt, aber das Bewusstsein für eventuelle Risiken und Krankheiten (beispielsweise Fuchsbandwurm und Borreliose) geschärft werden. Es folgen die Goldenen Regeln fürs Sammeln, inklusive Tipps zur richtigen Ausrüstung. Ein Überblick über verschiedene Aufbewahrungs- und Konservierungsmethoden, wie Trocknen, Einfrieren und Einlegen, beschliesst den Theorieteil. Auch die Milchsäuregärung kommt dabei vor, was mir natürlich besonders gut gefällt. Die hier aufgezählten Basisinformationen sollten immer am Anfang (oder zumindest am Ende) eines Kochbuches über Wildpflanzen zu finden sein, daher ein Kompliment an die Autorin und den Verlag.
Der zweite Teil besteht aus Pflanzenporträts und Rezepten, die in folgende Kapitel unterteilt sind:
- Waldgemüse und Kräuter (z.B. Bärlauch, Knoblauchsrauke, Waldsauerklee, Waldspargel)
- Hecken und Sträucher (u.a. Hagebutte, Brombeere, Haselnuss, Schlehe)
- Bäume (wie Birke, Fichte, Mispel, Robinie)
- Pilze (beispielsweise Edelreizker, Schopftintling, Totentrompeten)
Zuerst wird die jeweilige Pflanze ausführlich vorgestellt und die wichtigsten Merkmale übersichtlich in einem Steckbrief zusammengefasst. Nach den Tipps und Tricks zur richtigen Verarbeitung folgen die durchgehend bebilderten Rezepte. Die Fotos sind sehr gelungen und wirken, passend zum Thema, wunderbar bodenständig. Die phantasievollen, aber nie komplizierten Gerichte umfassen Vorspeisen, Hauptgerichte, Desserts, Snacks und Eingemachtes. Ich hätte gerne so ziemlich alles ausprobiert, doch leider bin ich seit mehreren Wochen wegen einem Bänderriss handicapiert. Für einige Wildpflanzen ist es auch noch zu früh im Jahr, daher kann ich euch nur eine Aufzählung der geplanten Kochorgie(n) liefern.
Unbedingt ausprobieren muss ich:
- Milchsauer eingelegte Brennesseln mit Wurzelgemüse
- Rohe Frühlingsrollen mit Knoblauchsrauke
- Griechische Spanakopita mit Lungenkraut
- Vegane Mayonnaise mit Waldsauerklee
- Fladenbrot mit Waldspargel
- Veilchenbutter
- Waldketchup mit Hagebutten
- Eichhörnchenkuchen mit Haselnüssen und Kastanienmehl
- Warmer Holundercrumble
- Likör aus Schlehenschösslingen
- Kastanienmilch
- Pannacotta mit Robinienblüten
- Wein aus Wildkirschenblättern
- Käsecracker mit Wildäpfeln und Kürbiskernen
- Knuspermüsli mit Wildbirnen
- Veganer Brotaufstrich aus Waldpilzen und Räuchertofu
- Omelette mit Wirsing und Totentrompeten
- Tapenade aus Totentrompeten
Langeweile kommt hier definitiv nicht auf. Viele der Rezepte sind vegetarisch, einige auch vegan. Oft werden vegane Alternativen aufgeführt, wie beispielsweise bei der Robinien-Pannacotta, die auch aus Mandelmilch und Mandelsahne zubereitet werden kann. Einige Gerichte können auch mit gekauften Zutaten nachgekocht werden. Ich denke da spontan an Wildspargel, Bärlauch und Waldpilze vom Markt, Beeren vom Feld, Hagebuttenmark aus dem Bioladen, Kastanien aus dem Tiefkühler oder getrocknete Totentrompeten.
Fazit:
Nichts zu meckern, nichts zu bemängeln. Rien du tout. Ein neues Lieblingskochbuch, welches für Anfänger und Fortgeschrittene gleichermassen geeignet ist. Uneingeschränkte Kaufempfehlung meinerseits, auch wegen des guten Preis-Leistungs-Verhältnisses.
Zum Abschluss noch das Kleingedruckte: Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten und Meinungen sind zu 100% die Meinigen und wurden von niemandem beeinflusst. Einen ganz herzlichen Dank an den Hädecke-Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.