Vor vielen, vielen Jahren sass ich eines Tages am Küchentisch und entspitzte massenhaft Buschbohnen, die meine Mutter später blanchierte und einfror. Natürlich hatte ich mich nicht freiwillig für diese Schinderei gemeldet und haderte daher mit meinem Schicksal als Gemüseputzsklavin. In der Hoffnung, als Ausgleich für mein Leid, die Frau Mama auf die Palme zu bringen, stichelte ich: Warum tut ihr euch den ganzen Mist an? Jäten, umgraben, hacken, glätten, säen, wieder jäten, giessen, Pflanzen betüddeln, noch mehr jäten, täglich giessen, ernten, putzen, einmachen und blecht dafür auch noch ein Heidengeld. Schlaue Menschen kaufen fixfertig gerüstetes TK-Gemüse und sparen sich den Umweg über die Gartenarbeit! Frau Mama blieb cool und konterte: Weil es einfach besser schmeckt. Zu meinem Leidwesen hatte sie völlig Recht, aber das hätte ich niemals nie zugegeben. Heute, über zwanzig Jahre später, möchte ich noch hinzufügen: Ausserdem ermöglicht der Eigenanbau auch den Genuss von Gemüse, Obst, Kräutern, Wildkräutern und Blumen, die man nicht im Laden oder auf dem Markt kaufen kann. Apropos Blumen: Wer hat schon einmal Dahlienknollen gegessen? Oder Taglilienknollen? Mashua? Melloco? Yacon? Oca? Klingt spannend? In diesem Fall empfehle ich euch das Buch
Knollen - Vergrabene Küchenschätze aus aller Welt von Peter Becker aus dem Kosmos Verlag.
Erster Eindruck:
Hardcover, mattes Papier, unaufdringliches Layout, eingestreute Seiten mit Warenkunde, durchgehend bebilderte Rezepte.
Inhalt:
Peter Becker ist Koch, Wildkräuterdozent, Gesundheitsberater für Ernährung und beschäftigt sich seit 15 Jahren mit essbaren Knollen als Alternative zur Kartoffel. Sein Augenmerk liegt dabei auf Biodiversität, Erhalt der Kulturlandschaft und fairen Arbeitsbedingungen in den Anbauländern, wie er im Vorwort betont. Im hinteren Teil des Buches werden 18 Knollengewächse vorgestellt und jeder Sortenbeschreibung folgen ausgefallene Rezepte. Ein kleiner Auszug aus den vier Hauptkapiteln:
Aus dem Supermarkt - Trüffelkartoffel, Süsskartoffel, Topinambur, Erdmandel, Dahlienknolle
Veilchen-Cookies mit Trüffelkartoffeln / Süsskartoffel-Käsekuchen / Dahlien-Teff-Schupfnudeln
Exotische Knollen - Taro, Yams, Wasserkastanie, Maniok
Taro-Kokos-Eis / Yams-Waldorfsalat / Maniok mit grüner Sauce
Aus dem Garten - Oca, Yacon, Mashua, Erdbirne
Gebackene Oca / Yacon-Gemüse-Curry / Mashua-Beignets
Für experimentierfreudige Geniesser - Taglilie, Knollenziest, Lotuswurzel, Yambohne, Melloco
Stachys in Basilikumsahne / Pfannengerührte Lotuswurzel / Bunter Yambohnensalat
Lobend erwähnen möchte ich noch die aufs Wesentliche konzentrierten, ganzseitigen Fotos, die Anbautipps für Gärtner und das doppelte Rezeptregister am Ende des Buches. Negativ aufgefallen ist mir eigentlich nur ein Druckfehler: Trüffelkartoffeln unbedingt VOR dem ersten Frost ernten, denn durch Minustemperaturen wird Stärke in Zucker umgewandelt. Und wie immer: Eine Reduzierung der Hefemenge kann Wunder bewirken.
Was meint der Magen:
Topinambur wächst bei uns im Garten wie wild und bildet hübsche Sichtschutzhecken, die im Spätherbst regelmässig ausgedünnt werden müssen, damit sie nicht schnurstracks alles überwuchern. Die Knollen bereite ich meistens wie Kartoffeln zu: Gekocht, im Ofen gebacken, als Suppe oder Salat. Die Idee, sie für Müsliflocken zu verwenden, wäre mir nie in den Sinn gekommen. Ich habe die Raspel nach dem Trocknen noch zusätzlich im Blitzhacker zerkleinert und verwende sie nun regelmässig als Zusatz in meinen Instant-Porridge-Mischungen.
Bei der Zubereitung der Maniok-Bratlingen musste ich spontan auf die verlangten Eicheln verzichten, weil etwa 80% der gesammelten Exemplare verwurmt waren. Stattdessen zermixte ich eine Karotte und ein paar Löffel gekochten Dinkelreis als Ersatz. Die Bratlinge waren nett, aber irgendwie fehlte der Pfiff. Entweder lag es an den fehlenden Eicheln oder ich bin beim Würzen zu vorsichtig vorgegangen. Die Tapioka-Gemüsesülze hingegen fand ich richtig toll. Ich liebe Tapiokaperlen in süssen Suppen und Beerengrütze, obwohl die Optik nicht gerade hinreissend ist. Herr C. frotzelt dann immer: Es gibt wieder Froschlaich als Nachspeise! Juhui! Froscheier für alle! Auch die Sülze hat er mit diesem Spruch gesegnet, allerdings gab es sie nicht zum Dessert, sondern als Vorspeise mit einem gemischten Salat. Ich mochte sie uneingeschränkt und gönnte mir zwei zusätzliche Portionen. Herr C., der alte Miesepeter, fand sie nur "ganz okay" (und verlangte trotzdem einen Nachschlag).
Fazit:
Ich, so ganz persönlich, hätte gerne noch einiges mehr über Anbau, Lagerung und verarbeitete Knollenprodukte, wie beispielsweise fermentiertes Maniokmehl, erfahren. Insbesondere ausführlichere Informationen zum Anbau in Mitteleuropa (Krankheiten, Schädlinge, Dünger, Erntemengen etc.) wären eine hervorragende Ergänzung. Die Rezepte sind meist einfach umzusetzen, auch wenn die umfangreichen Zutatenlisten zuerst eher abschreckend wirken. Ein nettes Geschenk für fortgeschrittene Hobbyköche und/oder erfahrene (Knollen)Gärtner.
Zum Abschluss noch das Kleingedruckte: Die in dieser Rezension geäusserten Ansichten und Meinungen sind zu 100% die Meinigen und wurden von niemandem beeinflusst.
Einen ganz herzlichen Dank an den Kosmos Verlag, der mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.